Pierluigi Billone
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AN.NA (1992, rev. 1994)

für Ensemble

aus dem Italienischen von Barbara Maurer


AN.NA stellt sich dem Hörer als eine unablässige Welle belebt und durchzogen von instabilen und innerlich gewaltsamen Schwingungen, (welche man wegen ihres Sinnreichtums und den in ihnen verkörperten Resonanzen besser als „Präsenz“ bezeichnen sollte).

Ein Riss zu Beginn bewirkt einen ununterbrochenen Fluss, der verschiedene Stadien durchläuft, bis er sich in einem unentrinnbaren und zwanghaften Endstadium konzentriert; ein zweiter Riss lässt den Fluss erstarren, wodurch er seine Energie verliert und sich entfernt.

Es handelt sich hierbei um eine ganz klare und elementare Bewegung. Und doch ist das nur der Eindruck des ersten Hörens, die erste Wirkung, die sich aus der Eigenart vom Rhythmus in der Tiefe und den kleinen Falten an der Oberfläche ergibt.

Bei wiederholtem Hören, sensibilisiert durch ein genaueres Studium der Partitur und durch einige instrumentale und analytische Beobachtungen, - oder durch das „Spiel“, selbst zum Ton zu werden und sich in den Fluss zu stürzen- ergibt sich, dass diese Welle in gewissem Sinn „starr“ ist und dass das scheinbar „unentwirrbare Knäuel“ aus Präsenzen, die AN.NA beleben, sich auf eine kleine Anzahl von stark formalisierten und ständig vorhandenen Elementen beschränken lässt: das Knäuel hat eine Seele, vielleicht ist es mit klarem Verstand am Schreibtisch gebildet worden. ...

Die rhythmisch-akustische Komplexität der intensivsten Momente beginnt nun, dursichtig zu werden.

Langsam gibt sich der „Kern“ von AN.NA zu erkennen: Eine tiefe und unauflösliche Einheit aus Abstraktion und vitaler Gewalt. Diese Musik pendelt zwischen zwei Polen: einerseits ein ursprüngliches Bedürfnis, durch das Schreiben die eigene Zugehörigkeit zu einem Horizont aus Schwingungen, Bewegungen, Zustände, -ein Pathos-, zu erwidern und deutlich zu machen.

Andererseits ein nicht weniger ursprüngliches, abstraktes und visionäres Bedürfnis, dieses motorische und klangliche Pathos (...einen unbeweglichen Punkt zu erreichen..) zu überwinden.

Die Suche nach einem solchen Abstand führt zu zwei Resultaten: zur scheinbaren Verlagerung vom akustischen in den visuellen Bereich (wobei der Eindruck entsteht, die Welle werde langsamer) und zum „Kontakt ohne Verbindung“.

Paradoxerweise hat jeder Schritt in eine bewusste Entfernung vom Fluss eine Vergrößerung der expressiven Gewalt und der akustischen Komplexität zur Folge. Die zwei Momente „ohne Zentrum“ (nachdem der Fluss zu erliegen kommt und im chinesischen Becken stillsteht) bezeugen diese Verlagerung und die definitive Unmöglichkeit, das Geschehen von einem einzigen Punkt aus hörend zu erfassen.

Die einzige Möglichkeit, das „Ohne-Zentrum“ auszuhalten, wäre: selbst zur Schwingung zu werden.

AN.NA, das mein rätselhaftestes Werk bleibt, ist dem Klarinettisten und Komponisten Emiliano Turazzi für seine hilfreiche Mitarbeit gewidmet.