für Stimme, Posaune und Orchestra
Auftragswerk des Radio-Sinfonieorchesters Wien
aus dem Italienischen von Bernadette Brunnbauer
Hier stehen das sehr elementare Wesen des Klanges ebenso wie die Plastizität und Struktur von Form als lebendige Teile eines Raumes in Beziehung zueinander. Dieser Raum hat eigene Dimensionen, Hierarchien, Distanzen und Leerräume, eine Peripherie und Zentren, Orte mit einer Oberfläche und einem Inneren aus definierten oder instabilen Schichten. Es ist ein uneinheitlicher Klangraum, der eine direkte Entsprechung in der strukturierten Aufstellung des Orchesters benötigt. Daher werden die Streichinstrumente hier in drei quasi identische Gruppen aufgeteilt, ihr Klang wird jeweils mit einem Fagott und einem Perkussionsinstrument modifiziert. Die Bläserinstrumente, zu Gruppen zusammengeschlossen oder mit anderen Instrumenten kombiniert, bilden spezielle akustische Einheiten. Die Vier Schlagzeuger umgeben und umschließen das Orchester in Form eines Quadrats: sie erzeugen den Klang, sie verändern ihn, sie konzentrieren ihn in sich, sie nehmen verschiedene Energien in ihre Impulse auf. Die beiden Solisten, Frauenstimme und Posaune, bilden eine gemeinsame Einheit und agieren aus dem Orchester heraus.
Dank dieser speziellen Verteilung von Kräften, dank der Hierarchien und der Beziehungen, die sich bilden, erlebt und ermöglicht das Orchester unterschiedliche Klangerfahrungen. Es handelt sich nicht um eine „akustische“ Konzeption, sondern der Klang- beziehungsweise der reale Raum soll natürlich zur Ganze eine Ordnung haben (Kosmos), aber er ist weder geschlossen noch starr, und seine Ordnung folgt keinem formalen Gesetz. Es handelt sich vielmehr um das Finden eine Raumes, der sich ändert.
Die Substanz von Stimme und Posaune befindet sich in den innersten Schichten. Um sie hervorgehoben und in ihrer spielerischen Freiheit hören zu können, muss man daher den gesamten Klang-Raum, der sie von der Oberfläche trennt, durchwandern: eben das passiert im ersten Teil des Stucks. Bis hierher brechen und übernehmen die Impulse der Perkussionsinstrumente die Kraft, die die Schichten trennt, und machen für einen Augenblick die Schicht von Stimme und Posaune hörbar.
Danach übernehmen sie eine andere Funktion. Wenn die Schicht von Stimme und Posaune erreicht ist, ändern sich die Charakteristika des Raumes (...Kosmoi), und daher ändern sich die Beziehungen. Das Orchester „verschwindet“, teilt sich in isolierten Gruppen, wird zur Peripherie bzw. zum visionären Inneren des Klangs von Stimme und Posaune. Beide finden sich also in einer sehr langsamen Woge von Stimmen wieder und sind von den anderen durch ein Vakuum getrennt.
In dieser veränderten Dimension löst sich die Stimme langsam aus ihren eigenen Schichten: Sie wird von flüchtigen Sprachakzenten durchzogen oder lässt eine stilisierte Litanei erklingen. Anderswo konzentriert sie sich auf ihre Grundsubstanz und verliert jede Artikulation, vibriert wie ein Instrument oder pulsiert im leeren Raum.
Gleichzeitig wird die Posaune unabhängig davon zum „Mund“: sie beschränkt sich auf ein mechanisches vibrieren, absorbiert in der speziellen Energie der eigenen Bewegungen das ganze Orchester oder verliert sich in einem freien Wechselspiel mit der Stimme- die in der Zwischenzeit zur „Posaune“ geworden ist. Und die Dimension verändert sich weiter.
„Wenn Du willst, kannst Du diesen ganzen Raum mit einem Händeklatschen schließen, leise...“
...für Renate Wicke † 30.06.2007.
Federico De Leonardis: Pastorale e Catena 1987