aus dem Italienischen von Barbara Maurer
Bei jedem Fortissimo-Schlag, der mit der Hand gedämpft wird, ist auch der Kraftaufwand des Dämpfgriffes, welcher der Energie entgegenwirkt und sie absorbiert, äußerst stark, davon zeugt die Blase an der linken Hand und die verkrampfte Muskulatur. Diese uralte Tätigkeit und Geste gehört eigentlich zur Eisenbearbeitung. Durch die Hand, welche die Autofeder hält, breitet sich der Impuls im Körper aus, von wo er ausgegangen ist. Wenn ich abdämpfe und loslasse, gibt es einen Moment, in dem die Energie der Schwingung sowohl in der Feder wie auch in meinem Arm vorhanden ist, und diese Energie, die von der rechten Hand ausgeht, läuft durch die Feder, setzt sich in die linke Hand fort und wird zu einem Fluß, der in den nächsten Schlag mündet. Sozusagen ein geschlossener Energiekreislauf. Nach einigen Schlägen schwinge ich also mit der Feder und bin zu einem Teil des Instruments geworden. Ich spiele (sto suonando), doch nicht nur das: ich klinge auch (sto risuonando), und eigentlich spiele ich auf mir selbst. Jeder Metaller macht solche Erfahrungen, doch die seinen bleiben immer an die Erfordernisse des technischen Vorgangs gebunden. Dieses kreisende Schwingen breitet sich im Körper aus und bleibt dort gegenwärtig. Deshalb kann es auf verschiedene Weise wieder an die Oberfläche kommen:
Wenn der Körper (gleichzeitig und unabhängig) zu einer zweiten Klangquelle wird, verflechten sich die Schwingungen von Körper und Instrument, und in vielen Fällen läßt sich nicht mehr ausmachen, welche von beiden die Initialquelle war: diese rhythmische Verflechtung ist ein Mittelpunkt der Arbeit.
Ein Glas kommt zu den Federn hinzu: das Glas darf mit einem Holzhammer nur leise angeschlagen werden, sonst zerbricht es oder fällt hinunter. Der Glasklang ist Teil des *rhythmischen Spiels, behält aber seine Fremdheit. Die Gegenwart von Glas, sozusagen als „Polarstern“, bleibt unveränderlich deutlich und stabil, während sich alles andere verändert. Sie kann also auch Energieschübe, Brüche und Sprünge in eine andere Dimension, besondere rhythmische Ereignisse anzeigen und verkörpern oder „irrend“ umherschweifen... Während jener Momente, in denen die rhythmische Instabilität und die motorische Energie einen extremen Grad erreichen, pulsiert das Glas nach seinem eigenen unabhängigen Rhythmus. Folglich beinhalten die rhythmischen Abschnitte einen „fremden“ Anteil, der sie spaltet, und die Aufmerksamkeit wird zu ungewöhnlicher Flexibilität gezwungen. Der Impuls mit der größten Energie und der mit der zwangsläufig leichtesten finden hier zusammen, ohne Gegensätze zu sein. Die rhythmische Stabilität des Glases, die fortwährende Veränderung jedes Augenblicks und die besondere Aufmerksamkeit, welche beides ermöglicht, sind ein einziges unteilbares rhythmisches Phänomen. Die Arbeit lebt von solchen rhythmischen Verbindungen, die wirken und sich verknüpfen. Meine ganze Bewunderung und Dankbarkeit gilt dem Interpreten.
Es wird allgemein angenommen, die Menschen hätten zwei Hände. Für mich gibt und gab es nur ganz wenige, welche wirklich soviele Hände besitzen, wie Mutter Natur uns verleiht. Giacometti war einer von ihnen: die Rechte erweiterte, modellierte und formte, die Linke ritzte, entfernte und höhlte aus. Der Kopf saß genau dazwischen.
Die Musiker? Na, die haben gelegentlich sogar zwei rechte Hände und einen Kopf, aber solche sind selten, äußerst selten. Bei den anderen gibt es welche, die nur einen Kopf und gar keine Hände haben, oder zwei rechte Hände und keinen Kopf. Mir sind die ersteren lieber [...]
Schauen ist mein Beruf, schauen und schauen lassen, um genau zu sein. [...] Einfach so, mit den Händen fest in der Hosentasche...
Federico De Leonardis – Breve storia della mano
(Kurze Geschichte der Hand)
Ich kenne den Gegenstand, den ich vor mir habe, kaum (die hängende Feder wird seit ein paar Jahren als besondere Triangel benutzt und mit einem Metallstab angeschlagen), und ich weiß nicht, wie man sie sonst spielen könnte. Während ich herumprobierte, legte ich die Feder zufällig auf eine Stelle des Fußbodens, unter der sich ein Hohlraum befand, der dann als Resonanzkörper wirkte, und da hörte ich besonders reiche und tiefe Schwingungen. Es klang sehr ähnlich wie manche elektronischen Klangveränderungen (z.B. in „Répons“ von Pierre Boulez). Die Begegnung war also zufällig, nicht aber die hörende Aufmerksamkeit.
Zusammen mit Richard Strnad (Mitarbeiter beim Klangforum Wien, dem die Arbeit gewidmet ist) habe ich vier verschiedene neue Autofedern ausgesucht und gekauft. Die Feder ist eine Metallspirale aus industrieller Fertigung, deren Form und Funktion das Ergebnis jahrzehntelanger mechanischer Entwürfe und Erprobungen bildet, doch ist freilich nicht vorgesehen, dass sie der Geste einer Hand entspricht. Sie hat kein Unten oder Oben, keine Vorderseite, und noch viel weniger wurde sie entworfen, um zu klingen (und natürlich besitzt sie nicht den blendenden Reiz vieler gebrauchsfertiger Schlagzeuginstrumente). Über die Jahre habe ich gelernt, dass jegliches Ding sich erst allmählich und nach seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten erschließt, und das geschieht fast nie als Antwort auf eine direkte Frage; also hat jede Etappe dieser Annäherung ihre Notwendigkeit, und nichts ist nebensächlich. Ich habe alle Autofedern von Rost und Verkrustungen gesäubert, wie man es mit archäologischen Fundstücken macht, um jene Vertrautheit zu erlangen, die sich durch den Kontakt der Hände mit der Form, mit dem „Rhythmus“ der Form, den Abständen und Unterschieden zwischen den Ringen, den etwaigen Unregelmäßigkeiten ergibt, vielleicht um zu entdecken, ob dieses Metall ein Innenleben hat... Ich habe zahlreiche Schlegel ausprobiert. Übrig geblieben sind zwei besonders harte Holzhämmer und ein gewöhnlicher eiserner Hammer. Erst nach vielen Versuchen habe ich geeignete Unterlagen für jede Feder gefunden.
Die Autofeder ermöglicht eine Mensch-Ding-Klang-Beziehung, die bei Null anfängt: eine besondere Gelegenheit zur Wissensbildung (wonach die neue Musik ja häufig gesucht hat...). Die Feder kann nur dann einen *Klang anbieten, wenn ich imstande bin, ihr zuzuhören, wenn also meine Fähigkeit und Sensibilität in der Handhabung, die Beweglichkeit meiner Aufmerksamkeit, mein Klanggedächtnis, meine Fähigkeit etwas wiederzuerkennen oder Verbindungen herzustellen, meine Freiheit, das willkommen zu heißen, was mir unbekannt ist, wenn all das untrennbar in mir arbeitet und sich nicht gegenseitig behindert. Jeder *Klang, den die Feder anbietet, ist gleichzeitig ein Horizont des (klanglichen, mentalen, manipulierbaren, praktischen, kulturellen) *Raumes, dem ich angehöre. Jeder neue *Klang, der sich öffnet, ist ein neuer *Raum, der sich am Horizont öffnet. Jeder *Klang, den ich nicht aufnehme, offenbart mir das, was ich nicht weiß oder nicht in der Nähe haben will. Die *Räume, die sich nicht geöffnet haben, sind diejenigen, die außerhalb meiner Reichweite liegen. Und so weiter.
Aus jeder Feder treten allmählich undefinierte Klangkonstellationen, Bewegungsfragmente, grobe Verlaufsskizzen ans Licht, die von der Arbeit einer einzigen Hand oder von zwei Händen verursacht werden, beim Gebrauch einer oder mehrerer Federn; aus den ersten Berührungspunkten entwickeln sich tatsächliche Klang-Manipulationsräume (dieses Ereignis, so beschaffen und nur so vorkommend), sie sind einmalig und noch völlig offen. Eine solche langsame Arbeit der *hörenden Hand stiftet und offenbart den anfänglichen Sinn der Unterschiede, der Entfernungen, der Verbindungen, der Fremdheit usw.
Es gibt eine schnelle und äußerst bewegliche „Intelligenz der Hand“, die jeden weiteren Bezug zu den Dingen ermöglicht und führt. Diese Intelligenz wird jedoch getrübt, wenn man beginnt einzugreifen, weil man meint, die Hände seien bloße neutrale mechanische Fortsätze in der Art einer Zange, die einfach der Hirnaktivität zur Verfügung stehen. Gelegentlich wird die Intelligenz der Hand auch deshalb überschattet, weil man seinen Händen nicht mehr traut (oder noch nie getraut hat)... Eben diese Unterscheidung in Hände und Kopf (Praktik und Denken) – und die gesamte steife Ideologie, die damit einhergeht – begründet auch die Konzeption des Hörens unserer Kultur.
Der Bezug des Titels auf Federico De Leonardis, einen italienischen visuellen Künstler, der aus der freiwilligen Beschränkung der Rolle seiner Hände einen Grundpfeiler seiner Überlegungen und seiner Arbeit gemacht hat, bekommt darum auch den Sinn einer freundschaftlichen (und gegenseitigen) Provokation, und nicht nur einer Hommage.
*Klang ist keine akustische Definition, sondern steht für eine lebendige und offene Gegenwart/Beziehung, und er bedeutet Berührung, Offenbarung und Zugehörigkeit (das war immer so). *Hand bedeutet volles und ungeteiltes Zusammenwirken aller Fähigkeiten bei der Berührung mit den Dingen. Nicht jede Schwingung ist *Klang, und nicht jeder Handgriff ist *hörende Hand. (... und nicht mit jedem Stück geschieht *Musik). Ein Stück im höheren Sinne strebt danach, ein Ort zu sein, an dem das, was in die Gegenwart kommt und seinen eigenen Horizont aus Bezügen offenbart, die Stabilität dessen verändert, was schon bekannt ist, und zwar in exemplarischer Weise.
Sinnvollerweise spricht man von der Arbeit, die in ein Stück mündet, als von einem *Weg, und von dem Stück selbst als von einem *Ort, der offen bleibt, und den dann auch Andere bewohnen und nach ihren Maßgaben durchstreifen können (das Hören, an das wir gewöhnt sind, bleibt leider immer ein wenig unterhalb dieser Möglichkeit...). Auch die Beziehung zum *Klang – ebenso wie zum *Raum – ist eine langsame Kontaktaufnahme, wo Bezugspunkte entstehen, die sich von unseren elementaren Abständen ausgehend entwickeln und wachsen. Die *hörende Hand trifft, entdeckt und durchquert in ihrer Arbeit auch die Spuren möglicher Wegstrecken und Verbindungslinien, wie Straßen, Brücken, Plätze einer Stadt, die es noch nicht gibt. Sie folgt ihnen, wie ein *Fuß es täte (ungeteiltes Zusammenwirken aller Fähigkeiten). Während sie sich mit den Maßen und Entfernungen des Ortes vertraut macht, sucht und findet sie geduldig einen Weg. Es wird Aufgabe der *schreibenden Hand sein, diesen Anfang fortzusetzen, zu verdichten und auszubreiten, ohne daß seine Frische verloren geht. Sie soll jeden Schritt zu einer Entdeckung werden lassen, die im jeweiligen Augenblick geschieht, und auch sie selbst soll im Entdecken verharren.
Gehen und *Raum schaffen tut der *Klang. Das Stück ist ein Abenteuer des *Klanges selbst. Der Mensch, der den *Klang schreibt, der Komponist, gibt sich freiwillig die Aufgabe, jeweils zum Hammer, zur Autofeder, zum Glas (zum Stift, zum Papier) zu werden und sich für diese Verwandlung zu öffnen. Das gelingt nicht immer. Wenn sich die *schreibende Hand und die *hörende Hand voneinander trennen oder einander gar vergessen, schwächt dies die Erfahrung des *Klanges.
Offen bleibt jedoch immer die Frage (die für einige vielleicht nur ein störendes „Hintergrundgeräusch“ ist): Berührt dies alles meine Existenz? Und wie tief? Freilich, und wie! (doch man muß auch daran glauben...), denn es handelt sich immer um meine eigene Hand, wenn ich die Feder anschlage, wenn ich schreibe, wenn ich das Licht anschalte, wenn ich den Mechanismus einer „intelligenten“ Bombe auslöse, die immer am falschen Ort tötet, oder den einer „feigen“ Bombe im Omnibus oder im Zug, wenn ich ein Gesicht streichle oder eine Hand drücke, wenn ich dieses Programmheft durchblättere.
Federico De Leonardis: Pastorale e Catena 1987