für Violine, Viola und Violoncello
Auftragswerk des Südwestrundfunks und des Ensemble Recherches, mit Unterstützung des Kulturministeriums Baden-Württemberg
aus dem Italienischen von Barbara Maurer
Unsere Kultur hat dem Sagen in allen seinen Arten immer zentralere Bedeutung verliehen: dem Sagen, welches veranlasst, orientiert, Abstand gewährt, eine Rangfolge festlegt, welches einteilt, entscheidet, Perspektiven und Horizonte des praktischen Lebens schafft. Wenn diese Tendenz extreme Ausmaße annimmt, entsteht eine besondere Art der Verblendung und Taubheit (mit unterschiedlichen Abstufungen): nun hat das, was geschieht, nur dann noch Wirklichkeit und Würde, wenn es vom Sagen erfasst und anerkannt werden kann. Jedes andere Geschehen zerfällt zu einer unwesentlichen und zweitrangigen Form der Existenz, zerstreut sich in unklare Randbereiche und wird dort früher oder später völlig vergessen.
Das Sagen ist damit zu dem Ort geworden, wo die Ereignisse geschehen, und gleichzeitig entsteht ein unfasslicher Bereich der „konkreten“ Entsprechung zum Sagen.
Die Verblendung ist vollständig erreicht, wenn der Raum, in dem wir und die Dinge existieren können, sich einzig und allein durch das Sagen öffnen lässt: Tun und Denken beschränken sich (dem Anschein zum Trotz) auf einen ganz engen Horizont und erschöpfen sich schließlich im bloßen Sagen (müssen also nicht einmal mehr darauf achten, eine konkrete Entsprechung zu haben). Dies ist ein Teufelskreis des Erstickens, im Hinblick auf seine Voraussetzungen, auf das, was durch ihn verhindert wird, und auf seine Folgen. Dem Sagen wird eine gänzlich abnorme und unangemessene Rolle verliehen.
Es entsteht ein grobes Ungleichgewicht, eine Verarmung und Entleerung des Lebens und eine Schwächung des Denkens. Das Sagen hat der Musik bereits einen Platz in seinen Hierarchien eingeräumt und ihr eine Rolle verliehen. Die vielfältigen Folgen davon sind offensichtlich und zeigen sich in der Art, wie man der Musik begegnet, wie man sie hört, macht und denkt.
Als Mensch und Musiker erlebe ich diese Situation von innen, spüre all dem gegenüber einerseits eine tiefe Befremdung und andererseits die Notwendigkeit und Dringlichkeit, ihrer erstickenden Verführung zu entkommen und einem anderen „Maß“ Raum zu geben.
Man kann einen kleinen Schritt in eine andere Richtung machen, der jedoch (das ist wichtig) immer noch vom Sagen und von dessen eigentümlicher Macht ausgeht. Ich beziehe mich hier auf Martin Heideggers Hinweise in „Unterwegs zur Sprache“: Sprache, glossa, lingua, langue und language bezeichnen ein und dieselbe Sache, jedenfalls scheint es so. Das Japanische, das sich durch die Berührung mit der abendländischen Kultur genötigt sieht, den Ausdruck „Sprache“ zu übersetzen, hat dafür das Wort „Koto-ba“.
Diesem Zeichen nachzudenken, heißt, zu spüren/ zu sehen, wie sich der vom Zeichen beherbergte Raum allmählich öffnet: seine Polaritäten werden sichtbar wie in einer Konstellation. In diesem Moment zeigt das Zeichen seine Kraft als „offenbarende Anwesenheit“. Wenn wir uns mit dieser Anwesenheitins Gespräch begeben, dann sagt uns Koto-ba: das Sagen zeigt sich, wenn Du Welt, Baum, Blühen, Mund und Kokkoro als Einheit denkst. Mund und Kokkoro sind nur ein Pol des Ganzen, und du kannst sie nicht von den anderen Polen trennen.
Das Wichtigste jedoch, was Koto-ba uns sagt (zeigt-offenbart), ist dies: dass das Verständnis dessen, was dieser Verbundenheit zugrunde liegt, notwendigerweise still ist, eine präverbale Klarheit. Wir haben es hier mit einem umfassenden Zusammenhang aus größter Tiefe und Konzentration zu tun, der noch nicht das Sagen für das Zentrum hält.
Es ist ein Schreiben, im weitesten Sinne, das die chinesische Ideographie zu hüten imstande ist. Die Schriftzeichen und die entsprechenden Wörter und das Wort Koto-ba, das sie zusammenhält (und sie im Sagen bewahrt), sind nur die Spur (in den Modi und Möglichkeiten von Schrift und Wort), die dieses Ereignis des stillen Verstehens hinterlässt, welchem es gelingt, das Sagen zu hören-sehen, eben weil es nichts mit dem Sagen zu tun hat.
Freilich ist das Hören auf das Wort Koto-ba unerschöpflich und bleibt immer offen, denn es weist ja nicht auf ein Objekt, sondern auf eine Verbindung hin und lässt sich somit nicht auf einen seiner Pole beschränken. Jeder Pol beinhaltet außerdem noch die ganze lebendige Instabilität des jeweils eigenen Rhythmus.
Dieses Wort ist also gleichzeitig:
In diesem Verstehensereignis erscheint der Mensch als Sprechender in den Zeichen für Mund und Kokkoro, dort, auf der linken Seite, an unauffälliger Stelle, mitten im anderen.
Eine Frage:
Ist es möglich, sich der Musik in stillem Verstehen zu nähern (ohne in die Falle des Psychologischen, Intuitiven, Irrationalen, Spontanen usw. zu tappen, also jener Arten des Verstehens, wie sie vom Sagen erschaffen werden)? (und auf jenen entmutigenden verbalen Durchfall zu verzichten, der...)
Federico De Leonardis: Pastorale e Catena 1987